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Eine Liebesgeschichte über Human-Machine-Touchpoints und Companionship

5. Februar 2015 | Experience Design

Lesezeit: 9 Minuten
Ein Mann mit Schnurrbart liegt am Strand, lächelt sanft und ruht seinen Kopf auf dem Arm. Im Hintergrund sind weitere Personen und Strandstühle zu sehen. Das Bild zeigt den Hauptprotagonisten Theodore aus dem Film HER, der seine KI-Companion Sam anschaut.

Krank über die Feiertage zu sein, kann auch Vorteile haben. Ich hatte endlich die Zeit, eine Menge Filme nachzuholen, die ich im letzten Jahr verpasst hatte. Einer davon war HER von Spike Jonze – und er hat mich absolut umgehauen! So sehr, dass ich direkt danach ins Internet abgetaucht bin, um alle Artikel zu lesen, die im vergangenen Jahr darüber erschienen waren. Dabei stieß ich auch auf einen großartigen Blog und ein Buch über Sci-Fi-Interfaces – und darüber, was Experience Designer*innen daraus lernen können. Aber fangen wir von vorne an.

Ein kleiner Hinweis: Dieser Artikel enthält Spoiler. Falls du HER noch nicht gesehen hast – du wurdest gewarnt!

KI-Companionship-Fragen inspiriert von HER

Eine der faszinierendsten Seiten des Films war, dass das „futuristische Interaction Design“, das im Zentrum der Geschichte steht, nicht einfach visuelles Feuerwerk wie andere Sci-Fi Filme aus dem gleichen Jahr, wie z.B. Guardians of the Galaxy Stattdessen regte dieser zum Nachdenken an – mit Fragen, die ich hier tiefer beleuchten möchte:

  • Warum funktioniert die Beziehung zwischen Samantha (der KI) und Theodore so gut – auch für uns als Zuschauer*innen?
  • Wird Technologie jemals so schön unsichtbar und allgegenwärtig wie in HER?
  • Und wenn ja: Mit welchen Herausforderungen müssten wir rechnen?

Nostalgische Near-Future-Technologie

Look Ma! No hands!

Der Film zeigt uns eine „Near-Future-Realität“ mit hochentwickelter Technologie, die nahtlos in den Alltag integriert ist. Dadurch wirkt sie viel greifbarer als die überzeichneten Welten vieler anderer Sci-Fi-Filme.

Die Technologie in HER ist fast unsichtbar – sie reagiert im Hintergrund auf menschliche Bedürfnisse, und das genau im richtigen Moment. Keine leuchtenden Hologramme, die ganze Räume füllen, sondern zarte, fast poetische Human-Machine-Touchpoints.

Schon in der ersten Szene sehen wir Theodore (Joaquin Phoenix) bei der Arbeit. Auf den ersten Blick wirkt es, als würde er sich mit einer geliebten Person unterhalten. Nach einem Zoom raus, sehen wir, dass er sich auf der Arbeit (bei beautifulhandwrittenletters.com) befindet, wo er für Kunden persönliche Liebesbriefe erstellt. Er verfasst im Auftrag von Kund*innen emotionale Briefe, die von der Software in Handschrift umgewandelt und verschickt werden – und das ganz ohne Tastatur oder Maus. Die Interaktion erfolgt ausschließlich über Voice Interface.

Auf dem Heimweg lernen wir sein Ear-Device kennen sowie ein kleines Handheld-Device im Retro-Look, das Bilder anzeigen und über eine Kamera verfügt. Damit navigiert Theodore durch Nachrichten und Feeds – alles per Sprache. Die Stimme des OS klingt stoisch und emotionslos.

Das Beeindruckende: Was Theodore tut, ist uns vertraut – Arbeit, Nachrichten checken, pendeln. Aber er erledigt das alles ohne „Gadget-Barriere“ zwischen sich und der Maschine. Diese Natürlichkeit wirkt nostalgisch – fast so, als würden wir uns an eine Zeit vor der ständigen Screens erinnern.

Wie die Mensch-KI-Beziehung in HER glaubwürdig wird

Die Macht von Sound, Set, Kostüm – und menschlicher Vorstellungskraft

Als Theodore sein persönliches Betriebssystem auf OS1 aktualisiert, wird Samantha eingeführt (Theodores Version von OS1 und bald seine Angebetete). Samantha (gesprochen von Scarlett Johansson) funktioniert ebenfalls über ein Sprachinterface. Ihre Stimme ist jedoch nicht mechanisch, monoton oder robotisch. Stattdessen folgt sie menschlichen sozialen Konventionen (vgl. Make it so: Interaction Design Lessons from Science Fiction von Nathan Shedroff und Christopher Noessel, Kapitel 6 Sonic Interfaces / Voice Interfaces). Als Samantha zum ersten Mal aktiviert wird, lautet ihre erste Frage: „Wie geht es dir?“ Samantha gibt sich sogar selbst einen Namen, den Theodore von da an benutzt, wenn er sich auf sie bezieht. Samantha ist intuitiv, lernfähig, kann sich an die Bedürfnisse ihres Besitzers anpassen und – wie wir später herausfinden – sogar autonom handeln. Wenn sie Nachrichten für Theodore hinterlässt, erscheinen die Hinweise auf Theodores Handheld-Device in „ihrer Handschrift“. Sie wirkt und klingt menschlich. Sams Stimme hat die gleiche Resonanz und Körperlichkeit wie alle menschlichen Stimmen im Film. Sie klingt, als befände sie sich mit Theodore im Raum, anstatt über ein In-Ear-Device übertragen zu werden.

Die gesamte Mensch-Computer-Interaktion ist sehr sorgfältig konstruiert, um uns – ebenso wie Theodore – dazu zu bringen, Sam zu vermenschlichen. Das ist ein typisches Verhalten von Nutzer:innen (vgl. Make it so: Interaction Design Lessons from Science Fiction von Nathan Shedroff und Christopher Noessel, Kapitel 9 Anthropomorphism / Humanness is Transferable to Nonhuman Systems). Auch das allgemeine Produktionsdesign unterstützt dies durch sein Vintage-Design, die dieser Zukunft eine warme Atmosphäre verleihen, in der man leicht vergessen kann, dass Sam eine KI ist. Mein persönliches Lieblingsdetail: Eine Sicherheitsnadel hält das Handheld-Device in Theodores Hemdtasche fest, sodass Sam „sehen“ kann, wenn sie gemeinsam unterwegs sind. Eine erfrischend analoge Lösung.

Menschliche Vorstellungskraft, die alles zusammenfügt

Die menschliche Vorstellungskraft wird im Film mehrfach thematisiert und gezeigt. In einer Szene erleben wir, wie Theodore sich vorstellt, Sam in den schneebedeckten Bergen zu umarmen, wo sie gemeinsam Urlaub gemacht hatten. Wir sehen, wie er Sam visuell imaginiert. Die Interaktionen mit Sam sind so reibungslos, dass er sich vorstellen kann, sie sei ein Mensch.

Auch wenn OS1 / Samantha eine Near-Future-Technologie darstellt, funktioniert die Beziehung, die wir in HER sehen, für heutige Zuschauer*innen – wegen ihrer Menschlichkeit. Fortschrittliche Technologie wie OS1 verwandelt sperrige Mensch-Maschine-Interaktionen in Erfahrungen, die sich natürlich und menschlich anfühlen. Erfahrungen, die nicht streng vordefinierten Nutzerpfaden oder gestalteten User Stories folgen.

Wir werden Zeug*innen von Theodores Entwicklung – von der Vermenschlichung Sams, über das Verlieben in sie, bis hin zum gebrochenen Herzen. Auch wenn die Beziehung zunehmend unheimlich wird, als Sam beginnt, ihre intellektuellen Fähigkeiten und Überlegenheit zu offenbaren (oder zu entdecken).

Die Zukunft ubiquitärer, KI-gestützter Technologie und die Herausforderungen

Könnte HER in der realen Welt möglich sein?

Auf der Øredev Developer Conference 2014 stellte Christopher Noessel in seiner Keynote die Frage, wer Software wie OS1 überhaupt entwickeln würde. Sein Fazit: Entweder das Militär, die Wissenschaft oder ein Unternehmen könnten am Ende eine Technologie wie Sam auf den Markt bringen. Er nahm jedoch an, dass ein Produkt wie OS1 niemals in den Consumer-Markt eingeführt würde (selbst wenn es von einem Unternehmen entwickelt würde), da allein die Möglichkeit, dass sich das OS in seinen Besitzer verliebt, das Produkt zu fehleranfällig und unprofessionell für eine Veröffentlichung machen würde.

Ich stimme dieser Annahme nicht zu, denn ich glaube nicht, dass das Risiko unprofessioneller und fehlerhafter Produkte Unternehmen davon abhalten würde, etwas wie OS1 zu veröffentlichen. Man muss sich nur die Vielzahl an Produkten ansehen, die heute schon ohne gründliches Konzept, Design, Produktion oder Qualitätskontrolle auf den Markt kommen. Ich bin überzeugt, dass irgendwo, irgendjemand gerade versucht, OS1 zu bauen – und allein dieser Gedanke lässt mich erschauern. Denn ein von Menschen gemachtes Produkt kann niemals alle möglichen Nutzer:innen- oder AI-Stories (OS1 ist anpassungsfähig und ständig lernend) und deren Ausgang in einem System, das Menschlichkeit nachahmt, vorhersehen.

Dystopische KI-Companions für alle!

Eine ähnliche Geschichte findet sich in einer Episode von Black Mirror mit dem Titel „Be Right Back“ (Staffel 2, Episode 1), in der eine weitere mögliche, unternehmensgetriebene Einnahmequelle durch menschenähnliche KI beleuchtet wird.

In der Episode verliert Martha ihren Partner Ash bei einem Unfall. Eine Freundin meldet sie für einen neuen Service an, der es Menschen ermöglicht, mit ihren verstorbenen Angehörigen zu kommunizieren. Möglich wird das, weil der Service eine KI erschafft, die mit öffentlichen Daten gefüttert wird, die der Verstorbene in sozialen Medien und im Internet hinterlassen hat. Nach einem zögerlichen Start, voller Skepsis von Marthas Seite (sie will sich nicht an etwas Digitales und „Nicht-Reales“ binden), akzeptiert sie die Möglichkeit schließlich und verbringt viel Zeit damit, mit (KI-)Ash zu sprechen.

Doch dann schlägt Ash vor, dass Martha den nächsten Schritt geht und einen zusätzlichen, experimentellen Service der Firma bucht: einen Ash-Roboter (die Technologie wird nicht näher spezifiziert), der in einer Box geliefert, aufgeblasen und in einer mit Wasser gefüllten Badewanne „zum Leben erweckt“ wird.

Nach einiger Zeit mit Robot-Ash beginnt Martha, die Schwächen dieser KI zu bemerken. Robot-Ash weiß Dinge, die der echte Ash nie gewusst hätte (weil er online lernen kann), und reagiert auf Weisen, die der echte Ash nie gezeigt hätte (weil diese Informationen in keiner Online-Datenbank existieren). Die Beziehung kippt und endet damit, dass Martha Robot-Ash auf dem Dachboden behält – nicht fähig, ihn ganz aufzugeben, aber ebenso unfähig, mit ihm zu leben.

Weil „Move fast and break things“ – nicht wahr?

Sowohl “HER” als auch “Be Right Back” sind Liebesgeschichten, die aufgrund einer „technischen Fehlfunktion“ scheitern. In “HER” war OS1 nie dazu gedacht, sich in seinen Nutzer zu verlieben, und wird am Ende „zu menschlich“. In “Be Right Back” ist die verkörperte KI wiederum nicht menschlich genug.

Der Grund: Es ist unmöglich, die Use Cases für Produkte mit solcher Tiefe und Möglichkeiten vorherzusehen – Produkte, die endlos skalierbar, anpassbar und selbstjustierend sind.

Die Herausforderung allgegenwärtiger Technologien sehe ich darin, die Balance zu halten – zwischen vorhersehbarer bzw. orchestrierter Funktionalität und Companionship. Ich bin mir nicht sicher, ob das jemals so weit gehen könnte wie zur Erschaffung einer echten KI, ohne das Risiko zahlreicher Szenarien einzugehen, in denen die Funktionalität ungewollt wächst und zur „technischen Fehlfunktion“ führt. Sicher ist aber: Es kann zu mehr führen als zu den heutigen Single-Task-IoT-Objekten.

Nur weil wir die Mathematik beherrschen, heißt das noch lange nicht, dass wir in der Lage sind, soziale Psychologie zu berechnen. Aber ich bin sicher:  das wird uns nicht daran hindern es es trotzdem versuchen.

Weiterführende Ressourcen (alle EN)
  • fakeui.tumblr.com hat einige gute Film- und TV-UIs als Inspiration gesammelt.
  • Eine weitere vielversprechende Quelle könnte KIT FUI (https://saji8k.github.io/kit-fui/) sein: „eine IMDb-ähnliche Datenbank, die es einfach macht, Screenshots, Videos und die Designer dieser FUIs zu recherchieren.“

Photo: Artikel Cover von www.herthemovie.com

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